“Sobald wir angekommen sind”

Rezension 389

“Sobald wir angekommen sind” von Micha Lewinsky

Worum geht es?

Copyright Diogenes Verlag

“Ben Oppenheim balanciert zwischen Ex-Frau, zwei Kindern und seiner Liebe zu Julia. Er hat Rückenschmerzen und Geldsorgen, aber was ihn wirklich ängstigt, ist der Krieg in Osteuropa. Getrieben vom jüdischen Fluchtinstinkt steigt er eines Morgens kurzerhand in ein Flugzeug nach Brasilien. Mitsamt Ex-Frau und Kindern, aber ohne Julia. Im Krisenmodus läuft Ben zur Hochform auf. Nur der Atomkrieg lässt auf sich warten. Ben dämmert, dass er sich ändern muss, wenn sich etwas ändern soll.”

( Quelle Klappentext zu “Sobald wir angekommen sind” von Micha Lewinsky )

Meine Meinung:

Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung was mich in dieser Geschichte erwartet. Klar, den Klappentext hatte ich gelesen, aber ich wusste nicht, ob es sich um ein Drama handelt, eine Satire oder ein Gesellschaftsportrait o.ä. oder alles zusammen 😉

Letztendlich kann ich sagen, dass es sich um einen wunderbaren Roman handelt, gespickt mit Humor und Melancholie, ein wenig Satire und der Suche nach Liebe und sich selbst. 🙂

Ben Oppenheim, Vater und bald Ex-Ehemann, Geliebter und Drehbuchautor mit jüdischen Wurzeln. Dies ist der Protagonist der Geschichte. Aber besser beschreibt ihn vielleicht: Ben Oppenheim, Vater von zwei Kinder, die in ihm einen Schwächling sehen; bald Ex-Ehemann von Marina, die zwar seine Angst vor einem dritten Weltkrieg teilt, aber ansonsten nicht mehr viel; Geliebter von Julia, die ihn aus irgendeinem Grund zu lieben scheint, aber einen Sohn hat (Prince,3), der Ben am liebsten Tod sehen würde; erfolgloser Drehbuchautor, der an seinen jüdischen Wurzeln festhält und nicht versteht, warum niemand von seiner Arbeit so begeistert ist wie er!

Was Ben am besten charakterisiert ist seine Entscheidungsunentschlossenheit. Bevor er auf eine Frage, und mag sie auch noch so simpel sein, antwortet, geht er erst sämtliche Szenarien durch, die seine Antwort zur Konsequenz hätte. Das macht einen wahnsinnig! Und oft entscheidet er einfach nicht, sondern lässt die Dinge verstreichen, so nach dem Motto “wird schon”. Auch hat er einen Hang zum Hypochonder. Alles in allem ist Ben Oppenheim kein einfacher Mensch, er ist niemand, der die Sympathien auf seiner Seite hat.

Ben ist sich sicher, und das belegen wohl auch Studien, dass man als Jude über den sogenannten Fluchtinstinkt verfügt. Es sei in den Genen verankert, dass Juden stets auf der Flucht sind. Etwas völlig Natürliches also. Daher auch die Idee, bei einem drohenden Weltkrieg selbstverständlich zu fliehen. Nach Brasilien. Dorthin, wo auch einst sein Lieblingsautor Stefan Zweig vor den Nazis flüchtete.

So unentschlossen Ben ist, so sehr romantisiert er alles. In seiner Vorstellung, in seinem Kopf reagieren die Menschen immer Ben gegenüber wohlwollend, aber in der Realität ist das nicht so. Das überrascht ihn immer wieder. Komisch! Einzig seine Agentin scheint noch an ihn zu glauben, das ermutigt ihn weiter nach Themen, Ideen zu suchen.

Nun denn, als dann alle Mann in Brasilien sind und Ben sowohl Julia als auch seine Eltern in der Heimat zurückgelassen hat, glaubt er da angekommen zu sein, wo er hingehört: als Flüchtling in einem fremden Land. So gehört es sich ja, er ist ja schließlich Jude! Und zu Beginn erfüllt ihn diese Tatsache und das Zusammensein mit seiner Familie. Er ist voller Tatendrang und glaubt, jetzt alles schaffen zu können.

Allerdings ist Ben ein Chaot; genauso chaotisch, wie seine Tasche, die er gefühlt seit Jahrzehnten mit sich herumschleppt. Sie ist unaufgeräumt, schmuddelig, da findet man nichts wieder! Seine Tasche ist wie er! 😉 Er kann sich selbst in dieser Welt nicht finden, weil er einfach zu unaufgeräumt ist. Und als dann eines Tages seine Tasche abhanden kommt, passiert etwas erstaunliches mit Ben… 🙂

Mir hat “Sobald wir angekommen sind” recht gut gefallen! 🙂 Und da, wo viele sagen, Ben Oppenheim ist ein unsympathischer Typ, muss ich widersprechen: Ich finde, er ist ein schrulliger, leicht nervtötender Antiheld, den ich irgendwie ins Herz geschlossen habe! 🙂 Und am Ende war ich auch ein wenig stolz auf ihn, wie er sich entwickelt hat, wie er zu seiner Größe gefunden hat!…

Micha Lewinskys Schreibstil ist flott, nicht kompliziert; keine verschachtelten Sätze, nur eine Erzählperspektive. Er schreibt leicht drehbuchartig, was natürlich an seinem eigentlichen Beruf liegt. Und schreiben kann er wirklich gut! 🙂 Es fällt leicht, sich auf diese Geschichte einzulassen, sie unterhält gut, langweilt nicht und beschäftigt sich mit Themen, die irgendwie jeden auf die eine oder andere Art tangieren.

Wer aber jetzt meint, der Autor hat seine eigene Biografie in das Buch gepackt, der irrt! 😉 Bei seiner Premierenlesung am 4. September im Kölner  25Hours Hotel verriet er, dass natürlich schon etwas von ihm in Ben stecken würde, aber nichts Privates 😉 Und auch Stefan Zweig zählt nicht zu seinen Lieblingsautoren, wie man eventuell annehmen könnte. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal an den Diogenes Verlag, der dieses tolle Event ausgerichtet hat, zu dem ausschließlich Büchermenschen eingeladen wurden! Es war ein ganz tolles Zusammentreffen, u.a. mit allen Admins des Kölner Bloggerstammtisches, zu denen ich ja auch gehöre 😉

Mir hat Micha Lewinskys Debüt wirklich gut gefallen, auch das Buchcover gefällt mir und ist sehr passend ( stellt man aber erst am Ende des Buches fest 😉 ) Nun warte ich gespannt auf einen zweiten Band aus Micha Lewinskys Feder! 🙂

Von mir gibt es

4 – 5 !!!

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Über den Autor:

“Micha Lewinsky, geboren 1972 in Kassel, ist Drehbuchautor und Filmregisseur, u. a. von ›Der Freund‹ (Schweizer Filmpreis), ›Die Standesbeamtin‹ und ›Moskau einfach!‹. Für Kinder hat er das Buch ›Holly im Himmel‹ geschrieben. Zurzeit arbeitet Micha Lewinsky an einem neuen Kinofilm.”

( Quelle Diogenes.ch )

“Sobald wir angekommen sind” von Micha Lewinsky

Ein Roman erschienen bei Diogenes am 24.07.2024

ISBN 978-3-257-07315-7

288 Seiten

Gebunden, Leinen mit Schutzumschlag

www.diogenes.ch

“Sobald wir angekommen sind” von Micha Lewinsky wurde mir von Diogenes als kostenfreies Leseexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hatte jedoch keine Auswirkung auf meine Meinung und Bewertung!

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